1989

In Berlin wird der 20-jährige Chris Gueffroy als letztes Maueropfer erschossen +++ Bürgerrechtler protestieren gegen gefälschte Ergebnisse von Kommunalwahlen in der DDR +++ Blutbad auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking +++ Ungarn öffnet Grenze nach Österreich +++ Erster nichtkommunistischer Ministerpräsident in Polen +++ Keine Zulassung für Neues Forum durch DDR-Behörden +++ 7000 DDR-Bürger suchen Zuflucht in der Prager Botschaft der Bundesrepublik +++ 70 000 Demonstranten rufen in Leipzig „Wir sind das Volk!“, die Polizei greift nicht ein +++ Honecker tritt zurück +++ Eine Million Menschen demonstrieren in Berlin für politische Veränderungen +++ Öffnung der Mauer zu West-Berlin und der Grenze zur Bundesrepublik +++ Runder Tisch fordert MfS-Auflösung und Reformen +++ Frankreichs Präsident François Mitterand zum Staatsbesuch in der DDR +++ Václav Havel wird Präsident der ČSSR.

Gründung von Folksmund (Ilmenau), Tee Na Na (Leipzig), Zumpfkopule (Berlin).

Schallplatten: „Es geht ein dunkle Wolk herein“, Sampler mit Aufnahmen von Horch, Kantholz, Tonkrug, Hofgesindt, AMIGA 8 45 360; Horch: „Maria durch ein Dornwald ging. Weihnachtslieder“ mit, AMIGA 8 45 363; Aufwind: „Lomp noch nit farloschen. Jiddische Lieder“, AMIGA 8 45 366; Wacholder: „Es ist an der Zeit. Die schönsten Folkballaden“, AMIGA 8 45 369; „Beschattung durch Duo Sonnenschirm“, AMIGA 8 56 471.


Januar 1989

Leipzig. Neuer Anlauf für das „Leipziger Folksblatt“. Es soll künftig viermal im Jahr erscheinen, mit Bandporträts, Berichten über Veranstaltungen, Platten- und Buchrezensionen, Biete/Suche. Veranstaltungstermine trägt Reinhard „Pfeffi“ Ständer in Hoyerswerda zusammen und schickt sie an die Redaktion in Leipzig.

Berlin. 3. Tage der jiddischen Kultur. Erstmals gastieren Künstler aus dem Ausland, so von den jüdischen Theatern in Warschau und Bukarest. Aufwind bringt ein Klezmer-Programm.


Februar 1989

Berlin. JAMS spielt beim Festival des politischen Liedes.


März 1989

DDR-Tournee von Duo Sonnenschirm (Leipzig/Dresden) und Ex-Liederjan Jochen Wiegandt aus Hamburg. Offiziell sind es zwei voneinander unabhängige Tourneen.


April 1989

Ilmenau. Folkwerkstatt. Zwölf Bands stellen sich vor. Werkstattgespräch über den Bau von und den Umgang mit Scheitholt, Schalmei, Drehleier, Dudelsack, Maultrommel; Präsentation des Folkklubs Leipzig; Förderpreise an Ioculatores für ihr Mittelalter-Programm, Catriona mit Irisch-Schottischem, Folkskammer für ihr kabarettistisches Straßenmusikprogramm und Fiddler’s Grien für Gospelgesang und alte deutsche Volkslieder.

Einwöchige DDR-Tournee von Lilienthal (Göttingen, BRD) und Ko & Co (Leipzig, DDR).


Mai 1989

Leipzig. 4. internationales Tanzhausfest mit Bands aus Leipzig, Berlin, Dresden und Mittweida. Stargast Blowzabella aus England, außerdem Ledňák (ČSSR), mit Älabätsch (Nürnberg) erstmals eine Gruppe aus der Bundesrepublik, dazu eine Abordnung vom Tanzhaus Erlangen. Die Kongresshalle ist baupolizeilich gesperrt, einen gleichwertigen Veranstaltungsort gibt es in der Stadt nicht.

Jena. Schillebold und die Tanzgruppe Zucker und Zimt haben Musiker vom Tanzhaus Erlangen zur gemeinsamen Session eingeladen. Diese dürfen zwar in die DDR einreisen, aber nur ohne Instrumente. Die Jenaer Initiatoren des Treffens werden vom MfS vorgeladen und müssen eine Ordnungsstrafe zahlen.

Berlin. Während des FDJ-Pfingsttreffens wird im Nikolaiviertel ein Mittelalter-Marktspektaktel mit rund 300 Mitwirkenden veranstaltet. Handwerker, Musik- und Theatergruppen aus der ganzen DDR haben sich zuvor zur Interessengemeinschaft Spektakulatius zusammengeschlossen. Schon in den Vorjahren gab es kleinere Auftritte bei Volksfesten. Zwischen Göpelmühle, Töpferei und Backofen spielen an der Berliner Nikolaikirche u. a. Horch und Tippelklimper.


Juni 1989

Leipzig. Straßenmusikfestival in der Innenstadt als kalkulierte Machtprobe mit den Behörden, die keine Genehmigung gaben. Der Bürgerrechtler Jochen Läßig als Initiator will erreichen, dass wie in Prag oder Budapest auch in der DDR Straßenmusik möglich wird, ohne dass man um Erlaubnis fragen muss. Zweieinhalb Stunden schauen Volkspolizei und MfS der „illegalen Veranstaltung“ zu, dann folgen Verhaftungen, Verhöre, Geldstrafen. Die ortsansässigen Folkbands sind zuvor vom Rat des Bezirkes aufgefordert worden, sich im eigenen Interesse nicht an der Aktion zu beteiligen, woran sie sich auch halten.

Schmalkalden. 3. Folklorefestival der DDR. Auf den Bühnen singen und tanzen 700 Amateur- und 200 Berufskünstler, meist Ensembles, deren Hauptbetätigungsfeld die Urlauberbetreuung ist. Interne Kritik des Zentralhauses für Kulturarbeit: „Unsicherheiten in der Praxis der Erbeaneignung“, „eine gewisse Anspruchslosigkeit an die Qualität eines künstlerischen Vortrags […] mit dem Verweis auf ähnliche Praktiken in den Massenmedien“. Das Folklorefestival in Schmalkalden soll künftig Werkstattcharakter erhalten, „der auch größere Möglichkeiten für experimentellen Umgang mit Folklore und ihre Einordnung in unser kulturelles Leben eröffnet“.


Juli 1989

Rudolstadt. 17. (und letztes) DDR-Tanzfest in Rudolstadt. Höhepunkte der Folkloreballett-Leistungsschau sozialistischer „Bruderländer“ sind wie üblich Festumzug und Tanzfest-Hochzeit. Auch Mitmach-Volkstanz (wenngleich am Rande) gehört zum Programm.


August 1989

Berlin. FDJ-Liedersommer, verkürzt auf eine Woche, unter dem Motto „Weltmusik für Kopf und Bauch“ mit Künstlern aus 14 Ländern von vier Kontinenten, darunter die Oysterband (Großbritannien), Embryo (BRD), Ortiga (Chile), JAMS (DDR), dazu Flamencotheater, Gauklerfest, Jazz.

Dresden. 4. Parkfest. Die Weltmusik-Stars des Berliner Liedersommers gastieren auch in Dresden, dort zusätzlich 3 Mustaphas 3 (Großbritannien), Morgenland/Yarinistan (BRD), Duo Sonnenschirm (mit Rocktheater Regenwiese), Ulla Meinecke (BRD), Gerhard Schöne (DDR), Terem-Quartett (UdSSR), Paul Millns (Großbritannien), Rachid Bahri (Frankreich) und ein deutsch-deutscher Live-Elektronik-Abend.

Halle. Schorre-Sommer-Festival. Zur Eröffnung spielen in der „Schorre“ u. a. Duo Sonnenschirm, Terem-Quartett und Oysterband. Die folgenden Konzerte finden in der Galgenbergschlucht statt.

Leipzig. Sommerfest – Rock und engagierte Kunst. Auf dem Programm steht auch ein Konzert „Dimension Weltmusik“ mit JAMS Projekt Nr. 5 und Oysterband. Außerdem gastiert u. a. die Folksängerin Shanna Bitschewskaja (UdSSR).

Strakonice. Am Internationalen Dudelsackfestival nehmen drei DDR-Gruppen teil: Sprjewjan, Spilwut und die Stieger Walzmusikanten. Dem Festival ging ein einwöchiger deutsch-deutscher Folk-Urlaub in Horní Planá am Lipno-Stausee (ČSSR) nahe der Grenze zu Österreich voraus. Die DDR-Teilnehmer kommen u. a. aus Bautzen, Berlin, Dresden, Halle, Hoyerswerda, Leipzig und Schwerin, die bundesdeutschen aus Clausthal-Zellerfeld und Hamburg. Diesem ersten, von Tüdderkram organisierten Folkurlaub folgen bis Mitte der 90er weitere, dann vor allem in Mecklenburg.


September 1989

Leipzig. Die Leipziger Gruppe Ioculatores, spezialisiert auf Alte Musik, nimmt am 6. Internationalen Bachfest teil. Die meisten ihrer Instrumente sind nach historischen Vorbildern selbstgebaut.

Berlin. Bekannte Rockmusiker und Liedermacher äußern in einer Resolution Besorgnis „über den augenblicklichen Zustand unseres Landes, über den massenhaften Exodus vieler Altersgenossen, über die Sinnkrise dieser gesellschaftlichen Alternative und über die unerträgliche Ignoranz der Staats- und Parteiführung“ und solidarisieren sich mit offiziell nicht zugelassenen „basisdemokratischen Gruppen“ (Demokratie jetzt, Neues Forum oder Demokratischer Aufbruch). In den folgenden Wochen wird die Resolution vor insgesamt 30 000 Konzertbesuchern verlesen und überwiegend zustimmend aufgenommen. Auch Bands aus der Folkszene, wie Notentritt und Aufwind, verlesen die Resolution vor ihren Konzerten.


Oktober 1989

Cottbus. Mittelaltermarkt u. a. mit Tippelklimper, Fiedolin und Spilwut. Schon seit Mitte der 1980er Jahre organisiert Roman Streisand mit Spilwut in der DDR derartige Mittelaltermärkte mit Volksfest-Charakter.

Berlin. Jens-Paul Wollenberg und Aufwind absolvieren zusammen mit den Liedermachern Reinhold Andert, Norbert Bischoff und Jörn Brumme eine DDR-Tournee unter dem Motto „Jetzt hau’n wir auf die Pauke“. Während eines Auftritts in der Berliner Erlöserkirche, einem Zentrum der unabhängigen Friedensbewegung, berichtet Brumme über seine Verhaftung nach den Demonstrationen am 7. Oktober.

Plauen. Gründung einer Bürgerinitiative für die Sanierung und kulturelle Wiederbelebung des 1982 von den Behörden unter dem Vorwand von Baumaßnahmen geschlossenen Malzhauses, eines legendären Veranstaltungsortes der DDR-Folkszene.

Erstmals stehen auf dem Programm des Irish Folk Festival, das seit 1974 jedes Jahr im Herbst durch die Bundesrepublik tourt, auch fünf DDR-Städte: Rostock, Halle, Berlin, Suhl und Jena. Wegen der sich überschlagenden Ereignisse – Massenflucht und Massendemonstrationen, Rücktritte von Regierung und SED-Führung – wird das im Wendeherbst 1989 aber wenig wahrgenommen, ähnlich wie das Erscheinen der ersten LP von Aufwind und der zweiten von Wacholder.


Dezember 1989

Halle. Horch geht nur wenige Wochen nach dem Fall der Mauer auf Englandtournee mit insgesamt 15 Konzerten, eines davon in der Royal Albert Hall. Später gibt die Band auch gemeinsame Konzerte mit Jethro Tull.